Landschaften flogen am Busfenster vorbei, Bäume und Wiesen, weiße Flachbauten und kleine Ziegelhäuschen traten kurz aus dem Nebel hervor, um sogleich wieder von ihm verschluckt zu werden.
„Hoffentlich wird da oben das Wetter besser“, murmelte Katharina leise und fragte sich wieder einmal, ob die Reise eine gute Idee war. „Weihnacht auf der Insel“. Auf jeden Fall war es gut gemeint gewesen von ihren Söhnen, als die beiden sie mit der Anmeldung überrascht hatten. „Damit du nicht so einsam bist“, hatte David ihr gemailt. Sie betrachtete die silbergrauen und strahlendweißen Schöpfe, die über die Lehnen der anderen Sitze ragten und strich sich dezent über ihren schwarzgefärbten Pagenkopf. Welche Leute fuhren im Winter schon zur See? Sie fühlte sich einsamer als zuvor.
Katharina stellte sich ihre Söhne vor: David bei seinem Auslandsstipendium in Amerika, Marten mit seiner Freundin im Schweizer Skiurlaub. Wirklich erwachsen, nicht wie damals, beim ersten Mal auf der Insel. Da waren sie drei und fünf Jahre alt gewesen, im Kindergarten, und sie selbst gerade Witwe geworden. Ihr ganzes Leben war nur Wochen vorher explodiert und sie, um ihre Liebe und Hoffnung betrogen, hatte jede Faser dafür aufwenden müssen, weiter zu existieren und ihre Kinder durchzubringen. Wie ein Wunder war ihr da die Mutter-Kind-Kur im „Haus am Meer“ erschienen: sich an einen freundlich gedeckten Tisch zu setzen, ohne planen, einkaufen, kochen zu müssen, gemeinsam mit ihren Kindern und anderen Menschen zu essen und nachher noch mit Erwachsenen sprechen zu können …