Es war ein seltsames Gefühl von Leichtigkeit, das sich allmählich in mir ausbreitete. Der bohrende Schmerz, an den ich mich schon fast gewöhnt hatte, weil ich ihn schon so lange, so stetig ertragen musste, war auch verschwunden, und ich begann zu steigen, schwebte durch den Raum mit seinen tickenden und piependen Maschinen, schwerelos, mühelos, ohne eigenen Antrieb.
„Bin ich tot?“, fragte ich, und eine Stimme, unbekannt woher, antwortete:
„Nein, du bist nicht tot“.
Ich verband kein Gefühl mit der Erkenntnis, keine Angst, keine Erleichterung, höchstens eine Art von Erstaunen, weil ich diesen Zustand nicht begreifen konnte. Doch auch dies berührte mich nicht wirklich. Ich fühlte mich seltsam gedämpft, wie früher schon einmal mit bestimmten Medikamenten, und dazu dieses unwirkliche Schweben, durch Türen, Wände, an Menschen vorbei, von diesen unbemerkt.
Ich bewegte mich nicht mit Anstrengung, ahnte, dass es einem Ziel zuging, doch ich wurde mehr dorthin gezogen, als dass ich aktiv etwas tat. Und plötzlich war ich in diesem grauen Zimmer, spürte die Geschwindigkeit wie in einem Aufzug, und Bilder erfüllten den ganzen Raum, wechselten sich ab wie Blitze, so dass ich nichts erkennen, nichts begreifen konnte. Eine Weile sah ich nur das Flackern, dann wurde alles langsamer, ruhiger, und wie nach überstandenen Stromschnellen trug mich jetzt eine sanftere Strömung mit sich, bis auch diese verebbte, und ich, trockenen Fußes, auf einem kleinen Teppich stand, in einem Zimmerchen mit rosa Wänden und schwerem Weihrauch in der Luft. Eine Gestalt saß vor mir, mit gekreuzten Beinen und vielen Schleiern, einen Goldreif im Haar. Nur langsam schien sie sich aus einer Starre zu lösen, dort anzukommen, und schließlich fasste sie den Schleier, der ihr Gesicht verdeckte, und zog ihn langsam über ihren Kopf hinweg. Ich blickte in ihr Gesicht, das mir so wohlbekannt und doch so fremd, so weit entfernt erschien in ihrem Ernst.
…
Veröffentlicht in
„Der Engel, der auf meinen Schultern saß“
Verlag: Richmond
ISBN: 978-3-9811260-5-1
Feb. 2007